Die documenta XV in Kassel ist nach 100 Tagen Laufzeit zu Ende gegangen. Bis zum letzten Öffnungstag wurde die Weltkunstausstellung von Antisemitismus-Vorwürfen überschattet. 738.000 Menschen haben die documenta fifteen in Kassel besucht.
Für die Künstlerische Leitung Ruangrupa war die Ausstellung, die am Sonntagabend endete, eine Etappe auf der Lumbung-Reise, teilte die documenta gGmbH mit. Das Konzept des Kollektivs fußt auf der indonesischen Lumbung-Architektur. «Lumbung» ist in dem Inselstaat das Wort für eine gemeinschaftlich genutzte Reisscheune, in der die überschüssige Ernte zum Wohle der Gemeinschaft gelagert wird. Diese Tradition des Teilens sollte auf die Weltkunstausstellung in Kassel übertragen werden.
Die documenta XV sei nun zwar abgeschlossen, «aber die Lumbung-Praxis wird nach den 100 Ausstellungstagen weiterleben», erklärte Ruangrupa laut Mitteilung. Auf die Antisemitismus-Vorwürfe gegen die Schau gingen in der Bilanz weder die Geschäftsführung noch Ruangrupa ein.
Dem Kuratorenkollektiv und einigen eingeladenen Künstlern war bereits Monate vor dem Beginn der documenta fifteen eine Nähe zur anti-israelischen Boykottbewegung BDS vorgeworfen worden. Kurz nach Eröffnung der Ausstellung war eine Arbeit mit antisemitischer Bildsprache entdeckt und abgebaut worden. Später sorgten weitere Werke mit antijüdischen Stereotypen für Empörung und lösten Forderungen nach einem vorzeitigen Abbruch der Schau aus.
Die Idee, welche die documenta-Findungskommission im Jahr 2019 dazu verleitet hat, das hierzulande weitgehend unbekannte indonesische Kollektiv Ruangrupa zum Gruppenkurator der documenta XV zu berufen, hatte schon etwas:
Menschen aus dem postkolonialen Süden sollten in den Norden kommen und uns hierarchiefrei sowie ungefiltert ihre Sicht der Dinge erzählen. Doch jetzt nach 100 Tagen Documenta Fifteen kann man sagen: Wegen des Antisemitismus-Skandals gab es statt Diskussion Geschrei, wurden schätzungsweise 99,8 Prozent der angeregten Themen gar nicht besprochen, sind in einer allgemeinen Polit- und Mediendebatte über das Verhältnis zum Staat Israel untergegangen. Man könnte auch ironisch hervorheben: Die Meinung des globalen Südens hat im Norden nicht gut gefallen.
Vor dem Hintergrund des Eklats übte Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) am Sonntagabend deutliche Kritik an Ruangrupa. Als Künstlerische Leitung der documenta fifteen müsse sich das Kollektiv vorwerfen lassen, seiner kuratorischen Verantwortung in dieser Debatte nicht nachgekommen zu sein und einen offenen Dialog mit Kritikern gescheut zu haben, sagte er laut Pressemitteilung. Zudem hätten die Kuratoren die Möglichkeit einer Kontextualisierung umstrittener Werke zu leichtfertig abgetan.
Ziel müsse es nun sein, eine kulturpolitische Debatte einzuleiten und Gespräche wiederaufzunehmen, betonte Geselle, der auch Aufsichtsratsvorsitzender der documenta gGmbH ist. Es gelte, auf Augenhöhe zu diskutieren «und dabei wieder Maß und Mitte zu finden». Der Oberbürgermeister bekräftigte zugleich seine Haltung zur Kunstfreiheit als wichtigem Grundrecht. Politik dürfe nie inhaltlich eingreifen.
Geselle betonte zudem die feste Bindung von documenta und Stadt Kassel. «Versuche, hier einen Keil zwischenzutreiben, werde ich nicht dulden. Die documenta gehört zu Kassel - gestern, heute und in Zukunft.» Auch zur documenta 16 vom 12. Juni bis zum 19. September 2027 werde Kassel wieder ein guter Gastgeber sein.